Spanien lockt dieses Jahr 63 Millionen Touristen an – so viele wie nie zuvor. Das liegt nicht nur an Sonne und Strand. Junge Leute kommen, um exzessive Partys zu feiern, und etliche Prominente haben vor allem Ibiza als Luxusdomizil entdeckt.

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Madrid - Hin und wieder gibt es neue Wörter zu lernen. Die Spanier erfahren diesen Sommer, was ein Pub-crawl ist, obwohl ihnen das Konzept schon länger bekannt ist: eine Kneipentour, möglichst ausgiebig, möglichst alkoholisch, möglichst billig. In Magaluf auf Mallorca haben sich ein paar Veranstalter darauf spezialisiert, ihren meist britischen Gästen solche Touren zu organisieren, wobei es vor ein paar Wochen Exzesse gab, die hier nicht näher beschrieben werden sollen, die aber für schöne Schlagzeilen in der spanischen und der englischen Presse sorgten. Spanien, das Paradies für alle, die den schnellen Rausch suchen und, wenn denn möglich, auch noch unkomplizierten Sex. Deutsche fahren dafür nicht nach Magaluf, sondern nach Lloret de Mar an der Costa Brava oder zum Ballermann an der Playa de Palma.  

 

Junge Britinnen strömen wegen der Partys nach Magaluf. Foto: AFP
Nicht weit weg von Magaluf und Ballermann, auf Mallorcas Nachbarinsel Ibiza, lädt der Zweisternekoch Paco Roncero, ein Schüler von Ferran Adrià (dem berühmtesten aller spanischen Köche), seit Anfang Juni allabendlich zwölf Gäste zu einem kulinarischen Abenteuer namens Sublimotion ins neu eröffnete Hard Rock Hotel Ibiza ein. Der Tisch ist aus weißem Porzellan, die Wände sind mit Rundumbildschirmen bedeckt, die zu jedem Gang ein neues optisches Ambiente schaffen. „Versuchen Sie nicht zu erzählen, was Sie an diesem Abend erleben“, sagt ein Zeremonienmeister, „denn es wird Ihnen niemand glauben.“ Das Essen kann nicht schlecht sein. Pro Person kostet es 1650 Euro. Ibiza, die Luxusdestination der Schönen und Reichen.

Nur Frankreich und die USA haben mehr Touristen

Die Mischung funktioniert. Im vergangenen Jahr kamen 60,6 Millionen ausländische Touristen, womit das Land seinen bisherigen Rekord aus dem Jahr 2007 (damals 58,6 Millionen Touristen) brach. Und es geht so weiter: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres kamen 28 Millionen Ausländer, 7,3 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum, Ende 2014 werden es wohl 63 Millionen Besucher gewesen sein.

Spaniens Tourismusindustrie scheint keine Grenzen zu kennen. Nach dem Einbruch in Folge der internationalen Wirtschaftskrise nach 2007 sieht nun alles wieder rosig aus. Nach Frankreich und den USA ist Spanien das Land, das die meisten ausländischen Gäste empfängt. Mit sehr angenehmen Nebeneffekten für die Volkswirtschaft: Einer von drei neuen Arbeitsplätzen entstand im zweiten Quartal dieses Jahres im Gastgewerbe, und die Einnahmen aus dem Tourismus wachsen doppelt so stark wie die Gesamtwirtschaft. „Gesegnete Invasion“, titelte vor kurzem die Tageszeitung „El País“.  

Das Geheimnis des Erfolgs: natürlich das Wetter

Das Geheimnis des Erfolges ist vor allem eines: das Wetter. „Sol y playa“ – Sonne und Strand – sind noch immer die wichtigsten Gründe, warum sich Ausländer auf den Weg nach Spanien machen. Katalonien mit der Costa Brava, die Kanaren, die Balearen, Andalusien mit der Costa del Sol und die Region Valencia mit der Costa Blanca sind, in dieser Reihenfolge, die beliebtesten Urlaubsgebiete bei den Ausländern. Städte- oder Kulturtourismus spielen nur eine nachrangige Rolle – mit der großen Ausnahme Barcelona. Die Hauptstadt Kataloniens ist nach London und Paris die europäische Stadt mit den meisten ausländischen Besuchern. Spanien ist übrigens, mit großem Abstand vor Italien und der Türkei, das liebste Reiseland der Deutschen. Doch unter allen Spanienurlaubern werden die Deutschen noch von den Briten übertroffen. Im vergangenen Jahr kamen 14,3 Millionen Besucher aus dem Vereinigten Königreich, aus Deutschland 9,8 Millionen.

Die Sorge, ob sie im nächsten Jahr auch wieder kommen, wird den Spaniern wohl nie vergehen. Sie wissen, dass ihr Land von der politischen Instabilität der arabischen Mittelmeeranrainer profitiert – das heißt aber auch: von der eigenen Stabilität. Die schwere Wirtschaftskrise, aus der Spanien gerade langsam herausfindet, hat das Land nicht unsicherer oder ungemütlicher für Touristen gemacht.

Hat das Modell Massentourismus überhaupt Zukunft?

Eine andere, grundsätzlichere Sorge treibt die Tourismusplaner schon seit Jahrzehnten um: Kann es gut gehen, den Urlaubern immer nur Sand und Sangria anzubieten? „Das spanische Modell ist das Modell des Massentourismus“, sagt Jean François Koster von der Business School für Hotel- und Tourismusmanagement Vatel. „Doch dieses Modell kämpft zurzeit mit schweren Problemen.“ Das ist eine alte Klage. Der gewöhnliche Strandurlauber gebe zu wenig Geld aus, er komme nur im Sommer und besuche nur ein paar Touristenhochburgen, den Rest des Landes lasse er links liegen.   Doch Spanien hat es geschafft, mit diesen Problemen umzugehen. Es wäre schön, wenn die ausländischen Besucher auch die Nordküste und die Städte im Inneren für sich entdeckten, es wäre schön, wenn sie auch außerhalb der Hochsaison kämen, und natürlich wäre es immer willkommen, wenn sie noch mehr Geld ausgäben.

Aber das sind Klagen auf sehr hohem Niveau. Die Ausländer kommen nach Spanien, weil sie hier das bekommen, was sie suchen: die einen das billige Vergnügen am Ballermann und in Magaluf, die anderen die Wunder der Molekularküche auf Ibiza. Eine britische „El País“-Leserin, Catherine Davies aus London, schrieb ihrer Zeitung vor kurzem einen Leserbrief. Spanien sei ein „modernes, sauberes, angenehmes und interessantes“ Land, sie lobte „Landschaft, Leute, Essen und Sonne“. Die Spanier sollten sich keine Sorgen machen: „Spain, we still love you!“ Die Tourismusstatistiken geben ihr Recht.

Ibiza – der neue Hotspot der Schönen und Reichen

Die Schönen, Reichen und Berühmten waren sich in diesem Sommer bei der Wahl des Urlaubsortes so einig wie selten. Ibiza ist zum Hauptquartier der Pop- und Filmstars, der Royals, Spitzensportler und Topunternehmer aufgestiegen. Zum Beispiel waren da: Rihanna, Justin Bieber, Jared Leto, Leonardo DiCaprio, Will Smith, Orlando Bloom, Naomi Campbell, Kate Hudson, Kate Moss, Neymar, Bastian Schweinsteiger, Mario Götze, André Schürrle, Kanye West, Puff Daddy und die Casiraghis aus Monaco. Allein im Juni fertigte der VIP-Bereich des Flughafens 40 Prozent mehr Gäste ab als im Juni 2013.

Wieso kommen Promis plötzlich in Scharen auf die Insel, die mit 572 Quadratkilometern deutlich kleiner ist als Hamburg? Experten führen den Trend auf viele neue Musik- und Freizeitangebote sowie auf die vielen neu eröffneten Luxushotels zurück. Die inzwischen horrenden Preise auf der in den Sechzigern von Hippies entdeckten Insel halten zudem vielerorts Touristen fern, sodass die Promis unter sich bleiben können. „Auf Ibiza verkauft sich eine 600-Euro-Flasche leichter als eine, die 300 kostet“, sagt ein Sprecher des Champagnerherstellers Louis Roederer.