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Überfüllte Lagunenstadt Venedig will Eintrittsgeld von Touristen verlangen

Venedig sehen – und abhauen: Millionen Tagesgäste überschwemmen in der Hochsaison die »Serenissima«, zum Unmut der Einheimischen. Künftig sollen die Blitzbesucher vorab reservieren. Und: zahlen.
Gedränge auf der Rialto-Brücke (Archivbild): Mit einer Reservierungspflicht und einer Gebühr für Tagesgäste will Venedigs Stadtverwaltung den Besucherstrom eindämmen

Gedränge auf der Rialto-Brücke (Archivbild): Mit einer Reservierungspflicht und einer Gebühr für Tagesgäste will Venedigs Stadtverwaltung den Besucherstrom eindämmen

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STEFANO RELLANDINI/ REUTERS

Die von Overtourism stark betroffene Lagunenstadt Venedig will ab dem kommenden Jahr Eintrittsgeld von Tagestouristen verlangen.

Die Stadtverwaltung unter Bürgermeister Luigi Brugnaro kündigte an, dass vom 16. Januar 2023 alle Besucherinnen und Besucher von Venedigs Altstadt und kleinerer umliegender Inseln vorab über ein Webportal anmelden müssen – sofern sie nicht vor Ort übernachten.

Dazu müssen sie eine Gebühr von drei bis zehn Euro pro Kopf bezahlen. Der Preis hängt davon ab, wie weit vorab reserviert wird und wie voll Venedig am angepeilten Tag sein dürfte. Ausgenommen sind Einheimische, Verwandte, Studenten, Berufspendler und kleine Kinder. Tagesbesucher, die ohne Ticket erwischt werden, drohen bis zu 300 Euro Bußgeld.

Gondolieri und ein Vaporetto auf dem Canale Grande, vor der Rialtobrücke

Gondolieri und ein Vaporetto auf dem Canale Grande, vor der Rialtobrücke

Foto: Waltraud Grubitzsch/ picture alliance/dpa

»Wir sind die Ersten weltweit, die dieses System einführen, und wir sind uns bewusst, dass nicht alles von Anfang an gut funktionieren wird«, sagte Venedigs Tourismus-Stadtrat Simone Venturini. Ziel sei es, eine Überlastung durch zu viele Tagestouristen zu verhindern – und ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Einwohner, der Übernachtungstouristen und der Tagesgäste herzustellen.

»Diese Menschen können nicht die Seele unserer Stadt verstehen, wenn sie für ein paar Stunden hierherfahren«

Arrigo Cipriani, Chef von »Harry´s Bar«, über die ungeliebten Tagesgäste

»Mordi e fuggi« (»beiße und hau ab«) nennen die Venezianer die wenig beliebten Blitzbesucher. Geld lassen die Tagesgäste oft wenig da, wohl aber Müll. Sie waren bislang oft in der Überzahl.

So suchten vor der Coronapandemie per annum rund sechs Millionen Übernachtungsgäste die Stadt auf. Ihnen gegenüber standen 22 Millionen »Mordi e fuggi«. In der Altstadt leben nur noch gut 50.000 Einheimische.

Gondelfahrt im Juni 2021: damals war Venedig noch vergleichsweise leer. In diesem Jahr ist der Massentourismus zurück

Gondelfahrt im Juni 2021: damals war Venedig noch vergleichsweise leer. In diesem Jahr ist der Massentourismus zurück

Foto: MIGUEL MEDINA / AFP

Forderungen nach dieser Gebühr gab es schon länger. »Diese Menschen können nicht die Seele unserer Stadt verstehen, wenn sie für ein paar Stunden hierherfahren, nur um Fotos für ihre sozialen Netzwerke zu knipsen und Venedig auf ihrer Liste abzuhaken«, sagte Venedigs Vorzeigegastronom Arrigo Cipriani, Chef von »Harry's Bar«, vergangenen Sommer dem SPIEGEL. Die Stadt müsse teurer werden für solche Besucher.

Ursprünglich hatte die Kommunalverwaltung schon für 2019 ein Eintrittsgeld ins Auge gefasst. Doch wegen Widerständen unter anderem von Parkhausbesitzern wurde die Einführung aufgeschoben. Und dann legte Corona den Tourismus zeitweise fast komplett lahm. Doch zuletzt sind die Besucherzahlen wieder stark angestiegen.

Für Venedig könnte sich die Gebühr, die noch vom Stadtrat abgesegnet werden muss, doppelt bezahlt machen. Zum einen wegen der direkten Einnahmen. Zum anderen haben Tourismusökonomen der örtlichen Ca' Foscari Universität errechnet, dass die Stadt mit deutlich weniger Besuchern weit mehr Geld erwirtschaften könnte – sofern es die richtigen sind.

Sonnenuntergang auf dem überschwemmten Markusplatz (im November 2019): Immer wieder bedrohen Hochwasserereignisse die Lagunenstadt

Sonnenuntergang auf dem überschwemmten Markusplatz (im November 2019): Immer wieder bedrohen Hochwasserereignisse die Lagunenstadt

Foto: Claudio Furlan/DPA

Optimal wären demnach 19 Millionen Gäste per annum statt der bisherigen 28 Millionen. Dabei müsste der Anteil der »Mordi e fuggi« von über 75 Prozent auf unter 30 Prozent gedrückt werden: etwa mittels eines Eintrittsgeldes.

Dieses müssen künftig auch Kreuzfahrturlauber zahlen, sofern ihr Anbieter die Gebühr nicht vorab entrichtet hat. Über die Frage, ob die teils gigantischen Kreuzfahrtschiffe nahe der Altstadt anlegen und tausende Passagiere auf einen Schlag entladen dürfen, tobt seit Jahren ein Streit in der »Serenissima«, der »Durchlauchtigsten«, wie die Venezianer ihre Stadt nennen.