Overtourism in der Stadt Zürich? Es ist ein Glück, dass auf der Limmat keine Kreuzfahrtschiffe verkehren können

Zürich mag seine Touristen am liebsten in wohldosierten Mengen. Doch die Folgen eines Instagram-Hypes lassen sich nicht planen.

Isabel Heusser 5 min
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Asiatische Touristen auf der Münsterbrücke in der Stadt Zürich: Grosse Gruppen sind selten unterwegs.

Asiatische Touristen auf der Münsterbrücke in der Stadt Zürich: Grosse Gruppen sind selten unterwegs.

Ralph Ribi / TBM

Zürich liegt nicht am Mittelmeer, die Alpen sind im Weg, und auch von Chiasso aus sind’s noch 200 Kilometer bis zum nächsten Strand. In der Badi gibt es nachhaltigen Linsensalat statt «Cocco bello», und der Horizont endet nicht im Nirgendwo des Ozeans, sondern beim nächsten Berggipfel.

Manch eine Zürcherin, manch ein Zürcher wünscht sich insbesondere in den Sommermonaten mehr Ligurisches Meer statt Limmat. Doch dass sich die Einheimischen mit dem Zürichsee und einem engen Fluss mitten durch die Stadt begnügen müssen, hat auch seine Vorteile.

Denn die beliebtesten Feriendestinationen am Meer werden regelmässig von Kreuzfahrtschiffen heimgesucht. Und die sind für die betroffenen Städte – Venedig, Barcelona, Dubrovnik – längst zum Ärgernis geworden. Zu viele Touristen, die innert kurzer Zeit an Land gespült werden, die Gassen verstopfen und wenig Wertschöpfung für das lokale Gewerbe bringen. Hinzu kommt die Umweltverschmutzung, welche die grossen Ozeandampfer verursachen. Venedig beispielsweise lässt seit 2021 keine grossen Kreuzfahrtschiffe mehr zu, nachdem sich immer mehr Einheimische beschwert hatten.

Overtourism nennt sich das Phänomen, mit dem sich viele Destinationen konfrontiert sehen. Es stellt Tourismusorganisationen vor ein Dilemma: Sie wünschen sich viele Reisende – aber zu einem Ärgernis für die Bevölkerung dürfen sie nicht werden.

Um herauszufinden, wie Einheimische den Gästen aus dem Ausland gegenüberstehen, hat Zürich Tourismus eine repräsentative Umfrage unter 500 Personen durchgeführt. Die Daten, die der NZZ vorliegen, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Mehrheit steht dem Tourismus positiv gegenüber, doch es gibt ein paar Knackpunkte.

Eine Hauptattraktion fehlt – gut so, finden die Touristiker

So sehen 88 Prozent der Befragten den Tourismus als bedeutend für Zürich an, und fast ebenso viele empfinden den Kontakt mit Feriengästen als vorwiegend angenehm. Immerhin 58 Prozent sind der Meinung, dass die positiven Effekte des Tourismus überwiegen. Nur ein Drittel findet, die Stadt sei überlaufen.

Warum also ist in Zürich noch nichts von Overtourism zu spüren? Thomas Wüthrich, Direktor von Zürich Tourismus, sieht mehrere Gründe. So kommen Reisende vom Flughafen her mit dem öV oder Cars in die Stadt und nicht mit einem Kreuzfahrtschiff, das Tausende von Personen befördert. Entsprechend sind in der Stadt selten grosse Gruppen unterwegs.

Positive Aussagen zum Tourismus in Zürich (Auswahl)

Summe aus «stimme voll zu» und «stimme teilweise zu», in Prozent
Ich empfinde den Kontakt mit Touristen als vorwiegend angenehm
Die Stadt Zürich, ihre Bewohnerinnen und Unternehmen profitieren vom Tourismus
Der Tourismus trägt dazu bei, dass Infrastruktur und Sehenswürdigkeiten modernisiert und gepflegt werden
Der Tourismus steigert das Ansehen der Stadt Zürich
Der Tourismus schafft attraktive Arbeitsplätze für die Bevölkerung

Weil der Zürcher Flughafen den meisten Billigfluggesellschaften zu teuer sei, kämen kaum Kurzbesucher, die im eher hochpreisigen Zürich möglichst wenig Geld ausgeben wollten, erklärt Wüthrich. Zudem verteilten sich die Touristen besser als etwa in Luzern, wo die Reisecars mitten in der Stadt am Schwanenplatz halten.

Nicht zuletzt fehlt Zürich eine grosse, europaweit bekannte Attraktion wie der Eiffelturm in Paris oder die Kapellbrücke in Luzern. Der Vizedirektor von Zürich Tourismus, Reto Helbling, sagt: «Vor zehn Jahren haben wir das bedauert, heute sind wir froh darum.»

Warten auf einen Instagram-Hype

In der Erhebung wurden auch kritische Fragen gestellt. Auffallend ist, dass mehr als die Hälfte der Befragten der Aussage zustimmten, durch die Touristen werde vieles in der Stadt teurer. «Es gibt keine Belege dafür, dass dem so ist», sagt Wüthrich dazu. «Deshalb können wir uns diese Wahrnehmung nicht erklären. Grindelwald und Zermatt beispielsweise leben vom Tourismus, und in diesen Gemeinden sind die Preise tiefer.»

Ebenfalls nur schwer nachvollziehen können die Touristiker, warum fast ein Drittel der Befragten angibt, Freizeitangebote seien wegen der Touristen überfüllt. Wüthrich sagt dazu: «Bisher haben wir keine Erfahrungen gemacht, die in diese Richtung gehen. Wir beobachten aber die Bewegungen der Touristen und könnten, falls es zu massiven Ansammlungen kommt, mittels Lenkungen reagieren.»

Kritische Aussagen zum Tourismus in Zürich (Auswahl)

Summe aus «stimme voll zu» und «stimme teilweise zu», in Prozent
Durch die Touristinnen wird vieles in der Stadt Zürich teurer
Es profitieren einzig Hotels, Gastronomie und Freizeit-/Kultureinrichtungen
Durch den Tourismus gibt es verstärkte Verkehrsprobleme in der Stadt
Die Stadt Zürich ist von Touristinnen schon sehr überlaufen
Wegen der vielen Touristinnen sind die Freizeitangebote überfüllt

Abschliessend geben die meisten Befragten an, der Tourismus in Zürich solle gleich bleiben oder leicht wachsen. Diese Haltung stimme auch mit der Strategie der Tourismusorganisation überein, sagt Wüthrich. Bereits heute seien die Unterkünfte sehr gut gebucht, viel mehr Kapazität gebe es nicht. «Es brauchte mehr Hotels, um wachsen zu können. Gegen ein ‹Four Seasons› als Premiumdestination, das mehr Gäste anzieht, hätten wir nichts.»

Wüthrich beobachtet die Entwicklungen in anderen Städten, die mit Massentourismus zu kämpfen haben, genau. Er erzählt von Kopenhagen, wo man versuche, Touristen zu Attraktionen in weniger frequentierten Aussenquartieren zu locken. Von einer solchen Entwicklung sei Zürich aber noch weit entfernt, sagt Wüthrich.

Auch in Zürich gebe es durchaus Potenzial, die Gäste in die Aussenquartiere zu lenken. Etwa mit dem neuen Hockeystadion in Altstetten oder mit dem Quartier Zürich-West, das mit dem Freitag-Tower oder dem Freiluftrestaurant Frau Gerolds Garten mit Blick auf den Prime Tower durchaus einen Anziehungspunkt darstellt. «Unsere Aufgabe ist, den Fokus der Touristen auch für das Unerwartete zu schärfen.»

Statt Kreuzfahrtschiffe verkehren im Zürcher Stadtfluss Limmatboote.

Statt Kreuzfahrtschiffe verkehren im Zürcher Stadtfluss Limmatboote.

Christoph Ruckstuhl / NZZ

Um herauszufinden, wie sich die Touristen in der Stadt bewegen, wertet Zürich Tourismus in einer Testphase anonyme Mobildaten aus, welche die Swisscom zur Verfügung stellt. Der Vizedirektor Helbling räumt aber ein, dass das System seine Tücken habe. Unter anderem muss es lernen, einen Pendler von einem Tagesausflügler zu unterscheiden.

Gegen ein Phänomen dürfte auch Zürich nicht gefeit sein: den Instagram-Hype. Das Restaurant Aescher im Alpstein oder der Caumasee in Flims wurden überrannt, nachdem Bilder davon in den sozialen Netzwerken kursiert waren.

Das Dorf Iseltwald am Brienzersee wiederum sah sich plötzlich mit Horden von asiatischen Reisenden konfrontiert, da eine Szene der koreanischen Serie «Crash Landing on You» auf einem Steg am See gedreht wurde. Inzwischen hat die Gemeinde ein Drehkreuz installiert, und wer den Steg betreten will, muss fünf Franken zahlen.

Bei Zürich Tourismus sieht man diese Entwicklung pragmatisch. Insbesondere weil kaum vorherzusehen sei, welche Attraktion plötzlich im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit stehen könnte. Der Lindenhof? Der Üetliberg? «Wir müssten individuell reagieren», sagt Wüthrich. «Das können wir weder antizipieren noch uns entsprechend darauf vorbereiten. Schlimmstenfalls müssen wir uns fragen, ob es richtig ist, plötzlich Eintritt für eine Sehenswürdigkeit zu verlangen, die bisher gratis war.»

Wüthrich sagt: «Tourismus muss bevölkerungsverträglich sein.» Deshalb setze man auch auf Qualität mit hochstehenden Dienstleistungen. Damit ziehe man eine bestimmte Klientel von Reisenden an.

Bestenfalls sind die Einheimischen gar der Meinung, vom Tourismus zu profitieren. In der Umfrage geben fast zwei Drittel an, der Tourismus habe einen positiven Effekt auf die Öffnungszeiten von Gastronomie und Geschäften. Diese Haltung freut Wüthrich, der sich mit seiner Organisation für offene Geschäfte an Sonntagen in ausgewiesenen Tourismuszonen einsetzt. Hier liegt der Ball momentan bei der Politik. Der Kantonsrat unterstützte Ende 2021 eine entsprechende parlamentarische Initiative.